August 2024. Heute nehme ich an einem riesigen Rennen teil. Die Überquerung des Schreckhorns am Lauteraarhorn, eine der längsten in den Schweizer Alpen. Diese Riesen von Grindelwald ragen in 4078 m und 4042 m Höhe in den Himmel der Berner Alpen. Jeden Winter fotografiere ich sie. Ich liebe es, diese grandiosen Berge zu betrachten, die von Wind und Schnee durcheinandergewirbelt werden. Doch in diesem Sommer ist die Herausforderung eine ganz andere, und ich gehe mit Gelassenheit an den Start. An der Seite meines Bergführers, Johann Filliez, besteige ich die Gipfel des Schreckhorns und des Lauteraarhorns.
Von Grindelwald zur Schreckhornhütte: Im Sturm auf die Berner Alpen
Unsere Reise beginnt in Grindelwald in den Berner Alpen. Gemeinsam nehmen wir die Skilifte, die uns bis nach Pfingstegg bringen. Dann folgen wir dem Wanderweg, der uns von der Gletscherschlucht zur Shreckhornhütte führt. Um uns herum ist die Landschaft wunderschön. Durch Schluchten und vorbei an den Überresten einst riesiger Gletscher schreiten wir unter dem Blick des Ostegg, des Mättenbergs oder des Ankenbälli voran. Bei jedem unserer Schritte offenbart sich die Natur. Immer schöner, immer wilder. Stundenlang klettern wir die Bergflanken hinauf, bis das Leben zu Eis erstarrt. Wir lassen Wälder und Almen hinter uns und betreten schließlich die Welt der Gletscher. Die, die ich so sehr liebe und die mich zum Träumen bringt. Das Obers Ischmeer enthüllt sich vor unseren Augen und sein Zerfall macht mir plötzlich zu schaffen. Sein Eis ist nur noch ein Schatten seiner selbst, meterlang eine Geschichte, die für immer verschwunden ist. Eine verfallene Pracht, die nur noch auf den Fotografien vergangener Jahrzehnte zu sehen ist. Der ewige Schnee hat hier nur noch in unseren Erinnerungen einen Glanz. Und ich bin entsetzt darüber.

Doch dies ist nicht der Zeitpunkt, um Trübsal zu blasen. Wir müssen weitergehen und die Schönheiten genießen, die uns die Alpen bieten. Je näher wir der Schreckhornhütte kommen, desto schwindelerregender wird das Panorama, das uns umgibt. Die Gletscher haben sich zurückgezogen, aber sie haben ihre Waffen nicht abgegeben. Sie sind immer noch da, ein märchenhaftes Exil im Inneren des Berges. Und dieser wunderschöne Gletscherzirkus weckt in mir den Wunsch, im nächsten Herbst zu ihm zurückzukehren, um ihn zu verewigen.
Auf unseren Schritten öffnet sich uns ein märchenhafter Modus. Aus Gneis, Eis und unendlicher Weite. Die Felswände werden steiler und die Gletscher enthüllen ihre abstrakten Kurven. Diese Verwerfungen, diese Seracs, die mich zum Schwingen bringen. Wenn Licht und Schatten die Kunst zum Leben erwecken. Diese tanzenden und zugleich scharfen Linien inspirieren mich so sehr, dass ich eine Pause einlege, um sie zu fotografieren. Das Eis wie eine Muse auf dem Gipfel der Alpen. Dann sehe ich es plötzlich: Das Finsteraarhorn erhebt sich über uns, als wolle es uns an den Frühlingstag erinnern, an dem wir seine Besteigung auf Skiern vollzogen haben.
Unsere Reise ist lang und das Wetter wird immer wärmer. In der heißen Sonne schwitzen wir bald. Dann träumen wir nur noch von einer kühlen Dusche. Als das leise Geräusch von Wasser, das über die Felsen rinnt, zu uns dringt. Ein Fluss! Wir eilen zu dieser Oase. Wie könnte man da widerstehen! Die Lust ist zu groß und das Bedürfnis, uns zu erfrischen, zu stark. Zum ersten Mal in meinem Leben springe ich ohne zu zögern in das fließende Wasser. Es kühlt meine Beine, strafft meine Muskeln und belebt mich. Was für ein außergewöhnliches Gefühl! Und Johann folgt mir in dieses Verjüngungsbad. Ein Schauer des Wohlbefindens im Herzen der Natur.
Die Erfahrung ist angenehm, aber die Zeit verrinnt und die Nacht wartet nicht auf die Bergsteiger. Wir machen uns wieder auf den Weg und erreichen nach einer viereinhalbstündigen Wanderung endlich die Schreckhornhütte. Der Tag schwindet und Nebel hüllt das Schreckhorn und das Lauteraarhorn ein. Wir werden sie erst am nächsten Tag entdecken. Glücklich, dort oben zu sein, blicken wir auf das Obers Ischmeer, das Finsteraarhorn, das Klein Fiescherhorn und all die Berge, die den Horizont formen.
Dann, um 18 Uhr, essen wir schnell zu Abend, bevor wir ins Bett gehen. Johann ist kategorisch: Wir müssen die Hütte um 2.30 Uhr verlassen haben, wenn wir die gesamte Überschreitung schaffen wollen. Etwa 15 Stunden lang werden wir vom Schreckhorn zum Lauteraarhorn laufen. Ein endloser Tag, der uns das Beste abverlangen wird. Doch als ich den Schlafsaal betrete, geben meine Beine nach. Die Hütte ist alt und wir sind übereinandergepfercht, unsere Matratzen liegen in diesem engen Raum nebeneinander. Wie soll es mir gelingen, in dieser Enge einzuschlafen? Ich drehe und wende mich und sehe, wie die Zeit vergeht. Ich weiß, dass ich einnicken muss, um fit zu sein, aber es gelingt mir nicht. Mir ist kalt und dann wieder heiß, ich zucke jedes Mal zusammen, wenn sich mein Nachbar bewegt. Ein wahrer Albtraum! Schließlich fange ich gerade an einzuschlafen, als mein Wecker klingelt. Es ist 1:45 Uhr und ich muss aufstehen.
Von den Höhen von Gaagg zum Gipfel des Schreckhorns: Auf über 4000 m in den Schweizer Alpen
Ich erlebe die folgenden Stunden wie außerhalb meiner selbst. Ich frühstücke, mache mich fertig und verlasse die Hütte auf den Spuren von Johann zur vereinbarten Zeit. Wegen der Schneeschmelze beginnt unser Lauf mit einem Abstieg von 120 Höhenmetern zum Gletscher. Dann klettern wir eine Moräne hinauf und steigen einen Pfad hinauf, um Gaagg 800 m höher zu erreichen. Die Nacht ist zu dieser Zeit noch tief und wir schreiten unter dem hellen Licht des Vollmonds voran. Dieser Aufstieg gelingt mir im Schlaf. Ich döse und gähne, dass mir die Kinnlade herunterfällt. Wenn ich nur daran denke, gähne ich immer noch. Ich fühle mich von extremer Müdigkeit übermannt. Ich habe mich noch nie so erschöpft gefühlt. Natürlich habe ich kaum geschlafen. Aber dass ich nur noch den Wunsch habe, mich hinzulegen und die Augen zu schließen, verstehe ich nicht! Wie soll ich in diesem Zustand eine Überfahrt bewältigen, die so lange dauern wird? Ich kann nicht mehr aufgeben, Johann zählt auf mich. Ich darf ihn nicht enttäuschen, nicht jetzt. Ich will nicht zu einer Last werden und ihn daran hindern, diesen Aufstieg zu vollenden. Bin ich krank oder spielt mir mein Kopf einen Streich? Hat mich diese Bergsteigersaison letztendlich erledigt? Ich weiß es nicht, aber ich habe keine andere Wahl, als weiterzumachen.

Als wir in Gaagg ankommen, ziehen wir die Steigeisen an, um den Schreckfirngletscher besteigen zu können. Ich schlafe im Stehen und bewege mich auf Autopilot, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Mein Puls ist langsam und doch habe ich das Gefühl, dass er schnell schlägt. Ein seltsames Gefühl, das weit von der Realität entfernt ist. Am Fuße des Berges machen wir eine Pause. Ich esse einen Snack, um wieder zu Kräften zu kommen. Dann, fast 1000 m über der Schreckhornhütte, starten wir zum Gipfel des Schreckhorns. Der Rhythmus ändert sich, mein Herz schlägt schneller. Und im ersten Sonnenlicht entschließt sich mein Körper endlich, aus seinem Schlummer zu erwachen.
Wir steigen an den Flanken des Schreckhorns auf, entlang von Korridoren, in denen sich Sport und Technik vermischen. Ich konzentriere mich voll und ganz auf den Augenblick, auf jeden meiner Schritte, auf die kleinste Geste, und vergesse dabei die Müdigkeit und den Schlafmangel. Und wenn ich mich zum Horizont umdrehe, entfalten die erwachenden Alpen ihre Größe vor meinen faszinierten Augen. All die Berge, die wir diesen Sommer bestiegen haben, all die Viertausender, die uns beherbergt haben, ermutigen uns hier, unser Streben fortzusetzen. Sie unterstützen uns und grüßen uns über die Täler hinweg und unter der beginnenden Morgendämmerung. Diese mythischen Kolosse, der Eiger, der Mönch und die Jungfrau, aber auch die Giganten der Walliser Alpen. Für diese einzigartigen Momente zwischen Erde und Himmel, für die Erfahrung dieses Absoluten, wagt man sich ins Hochgebirge. Getragen von der Erinnerung an diese magischen Momente mache ich mich an den Aufstieg zum Schreckhorngrat. Der Couloir führt uns zu einer senkrechteren Wand und unsere Schritte landen um 7.47 Uhr auf dem Gipfel. 5 Stunden und 10 Minuten eines Aufstiegs, den mein Körper wie eine Wiedergeburt erlebt hat.

In einer Pause fotografiere ich die wunderbare Landschaft, die vor unseren Augen vorbeizieht. Die Aufnahmen, die aufeinander folgen, sind in das Licht eines Sommermorgens getaucht. Ich kann sogar den Mont-Blanc und den Grand Combin sehen. Wie kann es sein, dass diese Welt so viel Schönheit in sich birgt? Ich finde hier neue Inspirationen, ich erahne neue Ansichten. Die Berge nähren meine Kunst und meine Vorstellungskraft. Wenn der erste Schnee fällt, werde ich da sein, um den vielversprechenden Glanz dieser Aussichten festzuhalten.
Die Überquerung des Schreckhorns am Lauteraarhorn: Eine außergewöhnliche Besteigung
Dann wenden wir uns der nächsten Etappe unserer Überquerung zu. Der Abstieg vom Gipfel des Schreckhorns zum 160 m tiefer gelegenen Sattel, dem Schrecksattel. Das ist die Art von Gelände, die ich mag: zerbrochene Felsen, ein instabiler Grat, den man aber problemlos erklimmen kann. Ich freue mich so sehr auf diese Route, dass meine Schritte schnell sind und wir bereits auf dem Schrecksattel ankommen. Eine gute Gelegenheit, um zu verschnaufen und uns zu stärken, während wir wieder einmal die prächtige Landschaft betrachten. Das Finsteraarhorn ist immer noch da, der unerschütterliche Orientierungspunkt dieser Expedition. Aber man kann auch den Gletscherkessel erkennen, der zu seinen Füßen vom Obers Ischmeer bis zum Finsteraargletscher fließt. Während sich am Horizont die Berge bis ins Unendliche aneinanderreihen.

Nach einigen Minuten einer heilsamen Rast verlassen wir den Schrecksattel, um über den Nordgrat zum Gipfel des Lauteraarhorns zu gelangen. Wir können die Nadeln nicht mehr zählen, so zahlreich sind sie. Die Spitzen reihen sich aneinander wie die Dornen einer Kreatur, die aus einer anderen Zeit stammt. Wir klettern hinauf, dann hinunter, wir klettern hinauf und dann wieder hinunter. Hinter jedem Gipfel verbirgt sich ein neuer. Und von einem Gendarmen zum anderen gehen wir weiter. Die Dynamik dieser Überquerung spornt mich an und begeistert mich. Es ist unmöglich zu wissen, wann der Lauf endet, es ist unmöglich, die Uhrzeit unserer Ankunft vorherzusagen. Was für ein Vergnügen, auf diese Weise auf dem Rücken eines Berges zu laufen, der sich mit jedem unserer Schritte neu erfindet!
Es ist 12.12 Uhr, als wir endlich den Gipfel des Lauteraarhorns betreten. 4,5 Stunden einer belebenden und fabelhaften Überquerung. Ich bin so glücklich, dort oben zu stehen, unter dem strahlenden Himmel der Berner Alpen, an der Seite von Johann, meinem Bergführer und Freund. Der Fels ist warm und die Sonne scheint. Was für ein Glück, dass ich hier sein kann, inmitten dieser Welt aus Fels und Eis! Alles dort ist so mächtig. So viel Fülle und Pracht in einem einzigen Reich: Die Natur hört nicht auf, mich zu überwältigen.

Die Schreckhornüberquerung am Lauteraarhorn: Abstieg zur Schreckhornhütte
Aber auch diese Momente der Gnade gehen einmal zu Ende und wir müssen den Gipfel des Lauteraarhorns bereits verlassen, um zur Schreckhornhütte zu gelangen. Wir beginnen unseren Abstieg über den Normalweg des Lauteraarhorns. Dann überqueren wir die Bergseite, um den Grat zu erreichen, der uns zur Schreckhornhütte führt. Auch hier reiht sich Nadel an Nadel, die Alpen stellen uns auf eine letzte Probe. Und ich spüre, wie die Müdigkeit mich langsam überkommt. Ein Stein folgt dem anderen und sieht schließlich gleich aus. Nach stundenlangem Aufstieg habe ich schließlich genug von dieser Aneinanderreihung, die nie zu enden scheint. Aber wir müssen weitergehen, Fels um Fels. Wir haben keine andere Wahl. Es ist unser einziger Ausweg. Also gehe ich weiter, ohne groß darüber nachzudenken, bis wir schließlich in Gaagg ankommen. Das Rennen ist vorbei, wir haben es geschafft. Wir verschnaufen, erfrischen uns und ich finde meine Stöcke, die ich vor Stunden dort abgelegt habe. Mit einem letzten Schwung führt uns das Obers Ischmeer zur Schreckhornhütte.

Unsere Überschreitung vom Shreckhorn zum Lauteraarhorn hat 15 Stunden gedauert. Es waren anstrengende Stunden, aber es waren auch fröhliche Stunden. Und wenn wir zu den hohen Bergen um uns herum aufblicken, sind sie dieses Mal nicht in Nebel gehüllt oder in der Nacht versunken. Sie erheben sich vor uns und feiern unsere Leistung, unsere Hartnäckigkeit. Das Schreckhorn und das Lauteraarhorn, zwei gewaltige Kolosse, die wir stolz und glücklich sind, gemeinsam bestiegen zu haben. Dann ist es Zeit für Johann und mich, ins Bett zu gehen. Eine weitere Nacht verbrachten wir in der Schreckhornhütte, wo wir uns wohlverdient ausruhen und von Abenteuern in den Schweizer Alpen träumen konnten.
Mit der Überquerung des Shreckhorns zum Lauteraarhorn habe ich meinen 58. und 59. Gipfel über 4000 m Höhe bestiegen. Von den 82 Alpengipfeln muss ich nur noch einen in der Schweiz erobern. Diese Wahnsinnstour wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Wegen seiner Anforderungen und wegen seiner Pracht. Ich werde diese Berge mit neuen Augen sehen, geblendet und gelassen. Als wären unsere Wege nun miteinander verbunden.
